Ihre Umsetzungshilfe Nr. 78: Wie viele Tage Arbeitsunfähigkeit sind normal?

Wie viele Tage Arbeitsunfähigkeit pro Jahr sind normal?

Wie Sie den Krankenstand beeinflussen

Wie viele Tage Arbeitsunfähigkeit pro Jahr sind normal? Finden Sie heraus, was Ihre Mitarbeiter denken und fragen Sie: „Wie viele krankheitsbedingte Fehltage pro Jahr sind normal?“
Wir hören oft fünf Tage, acht Tage, zehn Tage. Sind zehn Tage normal?
Die Antworten zeigen, dass sich die Belegschaft daran gewöhnt hat, dass ein Kollege oder man selbst ein bis zwei Wochen krankheitsbedingt fehlt. Fehlzeiten sind normal geworden.
Nur, was ist schon normal? Wo finden wir die Antwort?
Ohne Arbeitsverhältnis keine krankheitsbedingten Fehltage. Schauen wir einmal in die üblichen Arbeitsverträge:
Was ist die oberste Pflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsvertrag? Warum gehen wir arbeiten? Geht es um Zeitvertreib, oder ums Geld verdienen? Oberste Arbeitgeberpflicht ist die Zahlung des vertraglich vereinbarten Entgelts.
Und, haben Sie von Ihrem Arbeitgeber in der Vergangenheit Ihr Entgelt stets bekommen? Zu wie viel Prozent erfüllt Ihr Arbeitgeber seine oberste Pflicht? Wir hören nahezu immer: 100%.
Was ist die oberste Pflicht des Mitarbeiters aus seinem Arbeitsvertrag? In der Praxis hören wir oft Antworten, wie „Leistung“ oder „Anwesenheit.“ Der Mitarbeiter hat sich verpflichtet während der vertraglich vereinbarte Zeit dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Zu wie viel Prozent? Klar, zu 100%.
Wie viele krankheitsbedingte Fehltage sind dann Basis des Arbeitsvertrages? 100% Gehalt gegen 100% Anwesenheit: Null Fehltage sind normal. Oder haben Sie mit Ihrem Arbeitgeber eine Anzahl von krankheitsbedingten Fehlzeiten im Arbeitsvertrag festgelegt?
Die „Null“ ist realer, als viele Vorgesetzte und Mitarbeiter glauben. 2015 sind 45,1% der AOK-Mitglieder ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgekommen (Badura et al., 2016).
Aber wir kommt es dann zu den Antworten der Mitarbeiter (fünf, acht, zehn)? Weil es eine Art Gruppen-Norm für krankheitsbedingte Abwesenheit gibt.
Wie entsteht eine solche Gruppen-Abwesenheits-Norm?
Menschen sind soziale Wesen. Uns ist es wichtig, zum Team dazu zu gehören. Wenn also jemand neu in ein Team kommt, dann orientiert er sich am Verhalten der alteingesessenen Kollegen (Bandura, 1977). Anhand des Verhaltens der Kollegen und Vorgesetzen lernen wir, welches Verhalten in der für uns neuen Umgebung sozial akzeptiert ist. Zahlreiche Studien zeigen, dass

  • das Verhalten der Kollegen (Dello Russo et al., 2013),
  • das Fehlzeiten-Verhalten der Vorgesetzten (Duff et al., 2014)
  • und die Erwartungen der Vorgesetzten bezüglich Fehlzeiten (Bamberger & Biron, 2007)

als Maßstab für eigenes Fehlzeiten-Verhalten dienen.
Wenn Sie wissen möchten, wie Mitarbeiter ihren Krankenstand durch ihr Verhalten beeinflussen, dann nutzen Sie die Umsetzungshilfe Nr. 22: Krankheitsbedingte Abwesenheit durch Motivation reduzieren und das Video zur Bettkantenentscheidung (www.bettkantenentscheidung.de)
In dieser Umsetzungshilfe erfahren Sie, wann und wie Kollegen das eigene Fehlzeitenverhalten beeinflussen. Hierfür haben wir für Sie aktuelle Erkenntnisse und Studien zusammengefasst. Darüber hinaus zeigen wir Ihnen, wie Sie die einzelnen Punkte beeinflussen können.

A. Wie beeinflussen Kollegen das Fehlzeiten-Verhalten Ihrer Mitarbeiter?

1. Die eigenen Kollegen fehlen häufig

Zum einen sind die eigenen Kollegen Vorbild. Zum anderen stellt sich die Frage, warum wir mehr arbeiten sollten, als die Kollegen.
Vorbild: Wenn die eigenen Kollegen häufig fehlen, dann scheint häufiges krankheitsbedingtes Fehlen sozial akzeptiert (Brummelhuis et al., 2016). Neue Mitarbeitern – bis zu drei Jahren Betriebszugehörigkeit – orientieren sich an ihren Kollegen. Sie passen ihre Fehltage Schritt für Schritt an die Gruppennorm an (Russo et al., 2013). Die Kollegen dienen als soziales Vorbild für unser Verhalten.
Wie du mir, so ich dir: Die Abwesenheit eines Kollegen führt für die anderen Mitarbeiter zu Mehrarbeit. Jemand muss die Arbeit schließlich mitmachen. Wenn wir dauernd für andere mitarbeiten, stellt sich die Frage nach dem Sinn. Warum sollten wir mehr in den Erfolg des Teams investieren als die anderen? Die Kollegen verhalten sich ja auch nicht kooperativ. Durch eigenes angepasstes krankheitsbedingtes Fehlen, stelle ich die Balance wieder her. Wenn die Kollegen oft fehlen, dann ist es auch fair, dass ich ebenfalls oft fehle. Ich zahle mit gleicher Münze zurück (Brummelhuis et al., 2016).

2. Gegenseitige Abhängigkeit bei der Arbeit und Team-Zusammenhalt

Die Missbilligung krankheitsbedingter Fehlzeiten steigt mit dem Grad der Abhängigkeit vom Kollegen bei der Erledigung der Arbeits-Aufgabe und dem Zusammenhalt im Team. Gegenseitige Abhängigkeit fördert die Kooperation und den Zusammenhalt im Team.
Je abhängiger die Kollegen von einander sind und je stärker der Zusammenhalt im Team, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Krankmeldung (Brummelhuis et al., 2016).

3. Verantwortungsbewusstsein beugt negativem Einfluss der Kollegen vor

Warum sind einige Mitarbeiter gegenüber dem Fehlzeiten-Verhalten der Kollegen immun? Selbst wenn die Kollegen häufig krankheitsbedingt fehlen, weisen einige Mitarbeiter weiter niedrige Fehlzeiten auf. Sie lassen sich trotz der unter A1 beschriebenen Punkte nicht anstecken. Brummelhuis und Kollegen untersuchten die Gründe für die Immunität. 19,9% der Mitarbeiter war Kooperation sehr wichtig. 17,2% dieser Mitarbeiter fühlten für ihre Arbeit sehr verantwortlich (Brummelhuis et al., 2016).

4. Zufriedenheit mit dem Management puffert negativem Einfluss der Kollegen ab

Je positiver die Bewertung des Managements durch die Mitarbeiter, desto geringer der negative Einfluss der Kollegen (Russo et al., 2013). Die Wahrnehmung ist umso positiver je:

  • stärker sich das Management um die Entwicklung der Mitarbeiter kümmert,
  • besser und klarer die Ziele der Organisation besprochen werden,
  • fairer die Mitarbeiter behandelt werden und je stärker sie sich um das Wohl der Mitarbeiter kümmern.

Dieser Befund deckt sich mit der Austauschtheorie (Blau 1964). Mitarbeiter die sich durch das obere Management als fair behandelt fühlen, zahlen dies mit niedrigeren Fehlzeiten zurück (Biron & Bamberger, 2012).

B. Wie verbessern Sie als Vorgesetzter die Fehlzeiten-Kultur

1. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter

Um die Sicht auf Dinge zu verändern, müssen Sie zum Äußersten greifen: Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern. Wenn Sie die Kultur ändern möchten, dann schulen Sie Ihre Mitarbeiter anhand der Umsetzungshilfe Nr. 42: Kurzschulung Fehlzeiten reduzieren als gemeinsames Ziel.
Die wesentlichen Aussagen für die Beeinflussung der Kultur sind:

  1. Wie viele krankheitsbedingte Fehlzeiten sind normal?  Null
  2. Es gibt keine Blaumacher. (Wer seinen Kollegen „blau machen“ unterstellt, neigt dazu, es seinen Kollegen gleich zu tun.)
  3. Es gibt vom Mitarbeiter beeinflussbare und vom Mitarbeiter unbeeinflussbare Fehlzeiten.
  4. Sie erwarten Null vom Mitarbeiter beeinflussbare Fehlzeiten.

2. Arbeit im Team verbessert Zusammengehörigkeit und steigert Abhängigkeit

Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit die Arbeit im Team zu erledigen. Dadurch verbessert sich nicht nur der Zusammenhalt, sondern auch die Motivation. Wie Sie zum Beispiel Gruppenarbeit einführen, lesen Sie in Ihrer Umsetzungshilfe Nr. 47: Einführung von Gruppenarbeit.
Den Zusammenhalt steigern Sie, indem Sie dem Team erreichbare und messbare Ziele geben. Je mehr Handlungsspielraum das Team hat, desto stärker ist jedes einzelne Team-Mitglied vom Kollegen abhängig. Tipps zur Erhöhung des Handlungsspielraums finden Sie in Ihrer Umsetzungshilfe Nr. 57: Handlungsspielräume einräumen.

3. Reduzieren Sie beeinflussbare Fehlzeiten

Zeigen Sie Ihren Mitarbeitern, dass Sie krankheitsbedingtes Fehlen wahrnehmen. Führen Sie mit jedem Mitarbeiter, der aus Arbeitsunfähigkeit kommt ein wertschätzendes Begrüßungsgespräch.
Da ein kleiner Teil der Mitarbeiter für einen Großteil der Fehlzeiten verantwortlich ist, müssen Sie mit auffälligen Mitarbeitern ein Gespräch führen, dass Fehlzeiten reduziert.
Dazu müssen Sie zunächst unterscheiden, ob es sich um einen Mitarbeiter mit beeinflussbaren Fehlzeiten handelt, oder um einen Mitarbeiter mit unbeeinflussbaren Fehlzeiten.
Führen Sie mit jedem Mitarbeiter, der beeinflussbare Fehlzeiten hat ein sogenanntes Fehlzeitengespräch durch. Wie Sie erfolgreiche Fehlzeitengespräche führen, zeigt Ihnen Ihre Umsetzungshilfe Nr. 38: Das Fehlzeitengespräch.
Und zuletzt sollten Sie mit Mitarbeitern, die nie krankheitsbedingt ausfallen, ein Anerkennungsgespräch führen. Aber Vorsicht! Sie dürfen sich beim Mitarbeiter nur bedanken. Sie dürfen Ihn nicht loben. Und Sie wissen warum:
„Null ist normal!“ Viel Erfolg bei der Umsetzung. Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz

Ressourcen:
Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J. und Meyer, M. (2016): Fehlzeiten-Report 2016, Springer-Verlag Berlin Heidelberg.
Bamberger, P. and Biron, M. (2007): Group norms and excessive absenteeism: The role of peer referent others. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 103, pp. 179-196.
Bandura, A. (1977): Social learning theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall.
Biron, M. and Bamberg, P. (2012): Aversive workplace conditions and absenteeism. New York: Praeger.
Blau, P. (1964): Exchange and power in social life. New York: Wiley.
Briegert, E. und Hochgeschurtz, Th. (2011): Führung, ikotes-Verlag, Bühl.
Brummelhuis, L.L. ten, Johns, G., Lyons, B.J and ter Hoeven, C.L. (2016): Why and when do employees imitate the absenteeism of co-workers? Organizational Behavior and Human Decision Processes, 134, pp. 16-30.
Dello Russo, S., Miraglia, M., Borgogni, L. and Johns, G. (2013): How time and perceptions of social context shape employee absenteeism trajectories. Journal of Vocational Behavior, 83, pp. 209-217.
Duff, A.J., Podolsky, M., Biron, M. and Chan, C.C.A. (2014): The interactive effect of team and manager absence on employee absence: A multilevel field study. Journal of Occupational and Organizational Psychology, 88, pp. 61-79.

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