UH80 Warum Anwesenheitsprämien scheitern

Warum Anwesenheitsprämien scheitern

Sieben Gründe des Scheiterns

Was tun gegen zu hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten? Wir treffen auf zahlreiche Unternehmen, die versuchen das Problem mittels einer Anwesenheitsprämie zu lösen. Was uns erstaunt, denn wir haben in Deutschland kein Unternehmen gefunden, dass aufgrund der Anwesenheitsprämie gute Krankenstände erreicht hat.
Warum persönliche Prämien für niedrige Krankenstände scheitern, lesen Sie in dieser Umsetzungshilfe.
Unser Fallbeispiel: Ein Unternehmen zahlt 300 Euro im Jahr, falls der Mitarbeiter maximal sechs Fehltage hat.

1. Wer eine Anwesenheitsprämie auslobt, unterstellt seinen Mitarbeitern Blau machen

Stellen Sie sich vor, ein Vorgesetzter unterstellt einem seiner Mitarbeiter „blau machen.“ Wie muss sich der Krankenstand des Mitarbeiters nach dieser Unterstellung entwickeln?
Der Mitarbeiter darf den Krankenstand nach einem solchen Vorwurf nicht senken – sonst würde er bestätigen, dass er ein „Blaumacher“ ist.
Jede direkte oder indirekte Unterstellung des „Blaumachens“ führt auf keinen Fall zur Reduktion des Krankenstands. Das ausloben einer Prämie ist die Unterstellung des „Blaumachens“.
Die Prämie sagt: „Wir müssen dir Mitarbeiter nur 300 Euro vor die Nase halten, dann kommst Du häufiger arbeiten.“

2. Eine bestimmte Anzahl krankheitsbedingter Fehlzeiten wird legitimiert

In unserem Fallbeispiel hat das Unternehmen die Tarif-Grippe eingeführt. Wenn es bis zu sechs Fehltagen im Jahr die Prämie gibt, warum sollte der Mitarbeiter weniger als sechs Fehltage haben?

Dabei ist die häufigste Fehltagezahl in Deutschland null. Laut AOK Gesundheitsreport (2015) hatten 42% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten null Tage nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit. Bei der DAK waren es 2015 sogar 50%.
In unserem Musterunternehmen war zwei Jahre nach Einführung der Prämie die häufigste Fehltagezahl jedoch fünf Tage. Sie mögen jetzt denken: „Moment, die Prämie gibt es doch bis zu sechs Tagen Arbeitsunfähigkeit!“
Wir haben uns damals auch gefragt, warum die meisten Mitarbeiter fünf Fehltage hatten und nicht sechs. Aber warum uns fragen? Wir haben die betroffenen Mitarbeiter gefragt. Die Antwort hat uns überzeugt: „Sicher ist sicher, man könnte ja tatsächlich mal einen Tag krank werden.“
Das Unternehmen hat mit der Prämie die Tarif-Grippe eingeführt.

3. Wer die Grenze ohne eigenes Verschulden reißt, holt sich die Prämie zurück

Ein Mitarbeiter hat im Januar einen Verkehrsunfall, bei dem er unverschuldet verletzt wurde. Er kommt nach zehn Tagen Arbeitsunfähigkeit zurück zur Arbeit. Was weiß der Mitarbeiter bezüglich der Prämie? Wie fühlt sich der Mitarbeiter?
Er fühlt sich betrogen. Und was tun Menschen, die sich betrogen fühlen? Sie suchen nach einem Ausgleich für die widerfahrene Ungerechtigkeit. Und hat der Mitarbeiter bezüglich der verlorenen Prämie eine Chance, selbst für einen Ausgleich zu sorgen?
Ein Mitarbeiter erzählte uns in der Kaffeepause, wie er seine Prämie garantiert bekommt. Er sagte: „Ich fahre 40 Kilometer zur Arbeit, mein Auto braucht 8,5 Liter Sprit, der Sprit kostet 1,49 €/l; wenn ich 17 Tage zusätzlich fehle, habe ich die Prämie „cashflow-technisch“ drin.“
Die Mitarbeiter die unbeeinflussbar arbeitsunfähig werden, fühlen sich durch die Prämie bestraft. Und da jeder in seinem Leben irgendwann einmal unbeeinflussbar arbeitsunfähig wird, steigt jedes Jahr die Anzahl der Mitarbeiter, die sich durch die Prämie betrogen fühlen.
Deswegen steigt der Krankenstand mittelfristig durch Prämien immer an. Auch wenn es vielleicht am Anfang eine Verbesserung gibt.

4. Arbeitsunfähige Mitarbeiter schleppen sich zur Arbeit

Es ist der 20. Dezember: ein Mitarbeiter hat 40°C Fieber. Leider hatte er in dem Jahr auch schon sechs krankheitsbedingte Fehltage. Was tut der Mitarbeiter? Er macht eine Investitionsrechnung auf: eine Packung Paracetamol für 1,49 € versus den Verlust der 300 € Prämie.
Die Prämie sorgt dafür, dass der Mitarbeiter an diesem Tag auf Arbeit erscheint. Er schleppt sich bis zum Schreibtisch und hisst eine kleine Fahne mit der Aufschrift: „Held der Arbeit“. Sie als fürsorglicher Chef gehen zum Mitarbeiter und sagen Ihm, er soll nach Hause gehen. Und was sagt der Mitarbeiter.
„Kein Problem Chef, wenn Du mir die 300 € gibst.“

5. Prämien erzeugen Präsentismus

Mit Präsentismus bezeichnen wir das Verhalten von Arbeitnehmern, die trotz Arbeitsunfähigkeit am Arbeitsplatz sind. Diese Mitarbeiter leisten wenig, sind aber präsent. Die Prämie belohnt die Präsenz, aber nicht die Leistung. Kein Unternehmen senkt den Krankenstand dauerhaft, indem arbeitsunfähige Mitarbeiter arbeiten kommen. Stehen Sie als Unternehmen und Vorgesetzte zu dem Prinzip: „Arbeitsunfähig ist arbeitsunfähig.“

6. Arbeitsunfähige stecken arbeitsfähige an

Jetzt kommen arbeitsunfähige wegen der Prämie an den Arbeitsplatz. Sie schaden sich selbst, da sie Ihren Heilungsprozess verzögern. Sie schaden dem Arbeitgeber, da sie keine Leistung erbringen. Und sie schaden den Kollegen, da sie diese anstecken. Ein weiterer Grund, warum mittelfristig die Krankenstände durch Prämien steigen.

7. Wenn etwas extra gezahlt wird, dann muss es etwas Besonderes sein

Wie viele Krankheitstage im Jahr sind normal? Klar, als Leser der UH78 wissen Sie es:
Null krankheitsbedingte Fehltage im Jahr sind normal.
Faktisch hat jeder Mitarbeiter eine Anwesenheitsprämie. Er erhält diese am Ende eines jeden Monats. Der Arbeitgeber zahlt und der Mitarbeiter stellt für die vertraglich verpflichtete Arbeitszeit seine Arbeitskraft zur Verfügung.
Eine Prämie für eine Leistung, die das Unternehmen bereits bezahlt hat, ist vollkommen widersinnig. Oder wären Sie bereit in einem Schnellrestaurant das Essen bei der Bestellungsaufgabe zu bezahlen und wenn Ihre Mahlzeit dann tatsächlich kommt, nochmal zu bezahlen? Auf die Idee kämen wir als Privatperson nie!

Nachsatz: Wir hören häufig: „Naja, man muss die Prämie nur ausreichend hoch hängen.“
Das funktioniert aus zwei Gründen nicht:

  1. Die in der Umsetzungshilfe oben beschriebenen Effekte wirken nun noch stärker
  2. Es ist verboten, denn: wie hoch die Prämie auf niedrige Fehlzeiten sein darf, schränkt das Entgeltfortzahlungsgesetz ein. Gemäß §4EFZG darf je krankheitsbedingten Ausfalltag die Prämie, um maximal ein Viertel des im Jahresdurchschnitt auf einen Fehltag entfallene Vergütung gekürzt werden.

Bei dieser UH müssen Sie nichts umsetzen. Sie müssen einfach keine Prämie ausloben.

Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz

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