UH47: Einführung von Gruppenarbeit

UMSETZUNGSHILFE Nr. 47
Einführung von Gruppenarbeit

 

März 2014, Diese UH als PDF downloaden

Wie montiert man effizient ein Auto? Zwei Wege sind denkbar:

  1. Die Autos laufen auf einem Fließband und werden durch Mitarbeiter in zahlreichen aufeinander folgenden Fertigungszellen arbeitsteilig montiert. Der Takt wird durch das Band bestimmt.
  2. Eine Gruppe von Mitarbeitern schiebt „ihr“ Auto durch alle Fertigungszellen und montiert es komplett selber zusammen. Die Geschwindigkeit wird durch die Gruppe bestimmt.

Welchen Weg halten Sie für produktiver? Was führt zu besserer Qualität?
Volvo wagte 1989 das Experiment und errichtete in Uddevalla ein Pkw-Montagewerk nach dem Prinzip der Gruppenarbeit, das dem oben genannten zweiten Weg sehr nahe kam.
Bereits nach zwei Jahren erreichte Uddevalla die Montagezeiten des Fließbandwerks Torslanda, bei gleicher Qualität und höherer Flexibilität. Das klassische Montagewerk Torslanda fühlte sich herausgefordert und verbesserte in den folgenden 18 Monaten seine Produktivität um 40% – Uddevalla im gleichen Zeitraum jedoch um 50%.
1993 erreichte Uddevalla im Volvo internen Benchmark die besten Montagezeiten, höchste Qualität und größte Flexibilität auf Kundenwünsche zu reagieren.
Dann beschloss der damalige Hauptaktionär Volvos das Werk Uddevalla zu schließen. Uddevala hatte gezeigt, dass es möglich war, ein Werk mit Gruppenarbeit wettbewerbsfähig zu betreiben. Allerdings unter Infragestellung traditioneller Fertigungs- und Führungskonzepte. Und das wollte zu diesem Zeitpunkt keiner der Entscheidungsträger.
Bemerkenswert bleibt, dass Uddevalla mit seinen dezentralen Strukturen, flachen Hierarchien und einer konsequenten Prozessorientierung Muster für die „leane“ Fertigung war, die so viele Unternehmen heute anstreben.

1. Was ist Gruppenarbeit?

Das Betriebsverfassungsgesetz spricht von Gruppenarbeit, wenn „im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt.“ Gruppenarbeit entsteht durch die Integration vorgelagerter, nachgelagerter und parallel ablaufender Arbeitsprozesse.

 

Quelle: Eigene Darstellung

2. Der Einführungsprozess

Grundsätzlich empfiehlt sich die Einführung in einer Pilotgruppe. Die Pflicht-Elemente einer Gruppenarbeit sind: 1. Tägliche Selbsteinteilung der Gruppe auf die verschiedenen Arbeitsplätze
2. Erstellung einer Qualifikationsmatrix, die den flexiblen Einsatz aller Mitarbeiter ermöglicht
3. Regelmäßige Besprechungen der Gruppe zur Festlegung und Priorisierung von Verbesserungsmaßnahmen (=KVP)

Dazu können folgende Wahl-Elemente angeboten werden:

4. Wareneingangs-Logistik integrieren
5. Zwischen- oder Fertigwarenlogistik integrieren
6. Fertigungssteuerung integrieren
7. Übernahme von Qualitätsprüfungen
8. Übernahme der Urlaubsplanung
9. Reparatur und Instandhaltung übernehmen
10. Bereichsverantwortlichkeiten einführen z. B. für Arbeitssicherheit oder das QM-System Der Einführungsprozess gliedert sich in folgende Teilschritte:

2.1 Einführung von Gruppenarbeit frühzeitig mitteilen

Wenn Sie Gruppenarbeit einführen, muss jeder Beteiligte, ob Mitarbeiter, Betriebsrat oder Füh-rungskraft, Neues lernen muss. Deshalb sollten die Beteiligten die Gruppenarbeit mitgestalten können und sich auf die neue Arbeitsweise vorbereiten.
Die Bereitschaft hierfür fördern Sie, indem Sie die bevorstehenden Veränderungen frühzeitig ankündigen. Sie können zum Beispiel eine Betriebsversammlung nutzen, um über die geplanten Veränderungen und deren Ziel zu informieren. Und bei jeder Veränderung gilt: „Eine neue Infor-mation muss sechsmal gehört werden, bis sie ankommt.“ Es kommt dabei nicht nur auf die Häufigkeit an, sondern auch, dass man die Information von verschiedenen Quellen bekommt. Wenn Betriebsrat und Geschäftsleitung einheitlich über die Ziele der Gruppenarbeiten informieren, steigt die Wahrscheinlichkeit der Einsicht in der Belegschaft.
Starten Sie nicht mit einem fertigen Konzept. Machen Sie die Betroffenen zu Beteiligten. Überlegen Sie gemeinsam, welche Elemente Sie in ihrem Unternehmen als Erstes umsetzen wollen.
Im Idealfall gründen Betriebsrat und Geschäftsleitung gemeinsam eine Projektgruppe, die die Einführung begleitet.

2.2 Vorteile und Ziele aufzeigen

Erklären Sie die geplanten Startelemente und erarbeiten Sie die Vorteile und Risiken von Gruppenarbeit. Die Vorteile sind zum Beispiel:

  • Mehr Handlungs-Spielraum und Eigenverantwortung
  • Vielfältigere Aufgaben, weniger Monotonie
  • Mehr Rückmeldung
  • Mehr Überblick über den Gesamtprozess
  • Höhere Qualifikation jedes Einzelnen und daher höhere Arbeitsplatzsicherheit

Dagegen stehen die Risiken:

  • Mehr Konflikte im Team
  • Widerstand durch die Funktionen, die Aufgaben abgeben (erste Führungsebene)
  • Überforderung

2.3 Notwendige Maßnahmen zur Qualifizierung der Mitarbeiter

Wenn besprochen ist, wie der Soll-Zustand (Startelemente) aussieht, lässt man die Mitarbeiter den heutigen Ist-Zustand beschreiben.
Mit der Differenz aus Ist-Zustand und Soll-Zustand werden die neuen Anforderungen transparent. Daraus ergeben sich die notwendigen Maßnahmen zur Qualifizierung.
Hier müssen auch Ressourcen definiert werden, denn die Erstausbildung zur Mehrfachqualifikation geht nicht ohne personellen Mehraufwand. Die Pilotgruppen erstellen eine Qualifikationsmatrix, in der genau beschrieben ist, welche Person noch auf welcher Tätigkeit ausgebildet werden soll:


Quelle: Eigene Darstellung
Zuletzt wird ein Gruppensprecher gewählt. Der Gruppensprecher ist kein Vorgesetzter, erhält keine finanziellen Vorteile und wird für die Gruppensprechertätigkeit nicht von der Arbeit freigestellt. Gruppensprecher sind normale Teammitglieder, die eine Zusatzausbildung in Moderation erhalten.

2.4 Startworkshop

In der Praxis hat es sich bewährt, die wesentlichen Änderungen für das Team abseits des Tagesgeschäfts, im Rahmen eines Startworkshops zu besprechen und vorzubereiten. Diesen Workshop kann man nutzen um Ängste und Bedenken zu klären, um die Qualifikationsmatrix zu erstellen und den Gruppensprecher zu wählen. Wenn Sie den Workshop 2-tägig ansetzen, können Sie den Abend zusätzlich für teambildende Maßnahmen nutzen.

2.5 Gruppenarbeit umsetzen

Bei der Umsetzung ist das Verständnis der Führungskraft zu seiner neuen Rolle als Befähiger erfolgskritisch. Der Vorgesetzte muss viel Zeit in die Unterstützung der wachsenden Gruppenarbeit investieren.
Die Führungskraft muss die Gruppe zur Eigenständig entwickeln. Bei Streitigkeiten, zum Beispiel bei der Urlaubsvergabe darf der Vorgesetzte nicht entscheiden, sondern muss die Streitenden befähigen, diese und zukünftige Uneinigkeiten selbstständig zu lösen. Dazu bedarf es Geduld und Beharrlichkeit. Vorgesetzte müssen lernen, Lösungen der Gruppe zu akzeptieren, obwohl sie eine vermeintlich bessere Lösung im Kopf haben.
Weiterhin muss sich die Führungskraft intensiv um die schwelenden Konflikte mit den Funktionen kümmern, die Aufgaben in die Gruppe abgeben. Die Qualitätsprüfer, die Logistiker und die Instandhaltung werden versuchen zu beweisen, dass sie die Aufgaben besser lösen können, als die Gruppe.
Das Scheitern ist vorprogrammiert, wenn das gesamte Führungsteam nur halbherzig hinter der Einführung von Gruppenarbeit steht.
Die größten Probleme bei der Einführung von Gruppenarbeit sind:

  • Unterschiedliches Verständnis der Ziele von Gruppenarbeit
  • Die Mitarbeiter wollen nicht eigenständig arbeiten
  • Der Gruppensprecher kann nicht moderieren
  • Der Vorgesetzte der Gruppe kann nicht befähigen
  • Die abgebenden Funktionen haben eine große Lobby im Unternehmen und verteidigen ihre Pfründe
  • Das Management hat nach der Hälfte der Einführung wieder eine neue Idee

2.6 Umsetzung durch Kennzahlen messen und auswerten

Eine neue Organisationsform einzuführen birgt Risiken. Um diese frühzeitig zu erkennen und den Grad der Umsetzung der Gruppenarbeit festzustellen, ist es wichtig, dass das Unternehmen Kennzahlen misst und die Abweichungen zu den Ergebnissen der alten Organisationsform vergleicht.

3. Langfristige Effekte von Gruppenarbeit

Gruppenarbeit verbessert die Ergebnisse kurzfristig wahrscheinlich nicht. Wer teilautonome Arbeitsgruppen einführt, sichert den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
Uddevalla hat gezeigt, dass das Konzept der Gruppenarbeit der arbeitsteiligen Organisation sowohl in humaner Hinsicht (niedrige krankheitsbedingte Fehlzeiten), als auch in wirtschaftlicher Hinsicht (Produktivität, Qualität) überlegen ist.
Die Integration indirekter Funktionen in den direkten Bereich hat langfristige Folgen, die Sie vor dem Projektstart berücksichtigen müssen. Bartussek hat die Effekte für die Einführung teilautonomer Arbeitsgruppen an einer konkreten Einführung in der Leiterplattenfertigung ermittelt [2]:

 

Die Kritik an Gruppenarbeit, dass sich durch die Mehrfachqualifikation der Mitarbeiter das Lohnniveau mittelfristig erhöht, ist auf den einzelnen Mitarbeiter betrachtet, richtig. Doch durch die Reduzierung der indirekten Funktionen (im obigen Beispiel -82%) sinkt die Anzahl der Beschäftigten (-16%), sofern die zu produzierende Menge gleich bleibt. Das führt zu geringeren Gesamtpersonalkosten.
Höhere Löhne für die Einzelnen, befriedigendere Aufgaben, höhere Qualifikation, weniger Kosten, bessere Qualität und Lieferfähigkeit. Wann wollen Sie sich diese Vorteile verschaffen?

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner) Viel Erfolg bei der Umsetzung! Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz

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Ressourcen:
[1] Buß, C., Isenmann, I. (2012): Gruppenarbeit heute. Was ist das? Warum funktioniert Gruppenarbeit? Woran scheitert Gruppenarbeit? Hausarbeit „Synchrone Produktion 1“. Hochschule Offenburg
[2] Bartussek, R. (1992): Teilautonome Arbeitsgruppen in der Leiterplattenproduktion. Vortrag an der HR-Tagung Teamarbeit in der Produktion. München. Entnommen: Ulich, E. (2011): Arbeitspsychologie. S. 258. Schaeffer-Poeschel Verlag, Stuttgart.

Möchten Sie Führung verbessern?

  • Erfolgreich Gespräche führen?
  • Krankheitsbedingte Fehlzeiten reduzieren?
  • Arbeitsunfälle vermeiden?

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