UH18: Flexibler Betrieb - aber wie?

UMSETZUNGSHILFE Nr. 18
Flexibler Betrieb – aber wie?

Januar 2011, Diese UH als PDF downloaden


„Wir müssen uns alle darauf einrichten, dass das Wirtschaftssystem volatiler wird – dass wir mehr Krisen haben werden“,
so der Chef des Darmstädter Merck-Konzerns, Karl-Ludwig Kley. Die weltweite Vernetzung habe zu einer rapiden Folge von Wirtschaftskrisen geführt. Zwar sei die jüngste Malaise überwunden, aber die Schwankungen träten stärker und immer schneller auf. Firmen und Mitarbeiter die vor wenigen Monaten noch unter Auftragsmangel litten, ächzen jetzt unter der Last des Aufschwungs.

Indem Sie die Flexibilität Ihrer Organisation erhöhen, sind Sie auf das Unvorhersehbare und Unvermeidbare vorbereitet. Flexibilität bedeutet Anpassungsfähigkeit an sich wechselnde Umstände. Der Glaube Schwankungen vorhersehen zu können, wird durch Hersteller moderner EDV-Systeme mit schnellen und großen Rechenkapazitäten suggeriert, die Krise aus dem Frühjahr 2009 hat jedoch gezeigt, dass die einzige Antwort auf die neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Flexibilität ist. Dabei sind Einstellung und Mentalität der Mitarbeiter der entscheidende Schlüssel zu mehr Flexibilität.

Bevor Sie die Flexibilität Ihres Unternehmens erhöhen, überprüfen Sie Ihre Wettbewerbsstrategie! Nur wenn Ihre Wettbewerbsstrategie auf schnelle und unkomplizierte Befriedigung von Kundenwünschen basiert, stärkt Flexibilität Ihre Wettbewerbsposition (siehe UH9: Ausrichtung der Produktionsstrategie). Akzeptieren Sie dann Kosten durch Flexibilität als Investition in die von Ihnen gewählte Strategie. Wenn Ihre Strategie hingegen auf niedrigen Stückkosten, durch größtmögliche Ausnutzung Ihrer teuren Maschinen und Anlagen liegt, spielt Flexibilität eine untergeordnete Rolle.

Prüfen Sie, welcher der folgenden 6 Flexibilitäts-Bausteine Ihrem Unternehmen hilft:

1. Arbeitsplatzflexibilität: Mitarbeiter mehrfach qualifizieren

Eine der größten Herausforderungen bei plötzlich steigenden Auftragseingängen ist die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal. Indem Sie regelmäßige Job-Rotation zur Pflicht machen, steigt das Reservoir an ausgebildetem Personal automatisch. Wenn Sie sogar Ihre indirekten Bereiche in die Jobrotation mit einbeziehen, können Sie die erreichbare Flexibilität deutlich steigern. Als Nebeneffekt erhöhen Sie auch noch die Lernfähigkeit Ihrer Mitarbeiter und die Verbindung zwischen den direkten und indirekten Mitarbeitern.

Beispiel Handwerker: Wenn Sie sämtliche Handwerker eines Produktionsbetriebes zum Maschinenführer qualifizieren, haben Sie sofort verfügbare Reserven um Auftragsspitzen abzuarbeiten.

2. Arbeitszeit flexibilisieren

Stellen Sie den Kunden in den Mittelpunkt der Einsatzplanung. Vertrauensarbeitszeit und Vertrauensurlaub sind ein klares Bekenntnis zur Ausrichtung am Kunden. Sie geben Ihren Mitarbeiter das Vertrauen, Arbeitszeit und Urlaub selbst einzuteilen. Im Gegenzug erhalten Sie von Ihren Mitarbeitern die Verpflichtung Kundenwünsche zu erfüllen.

Zeiterfassung hingegen konzentriert Ihre Mitarbeiter auf den Saldo des Stundenkontos. Da Unternehmen mit Zeiterfassung Zeit messen, liefern die Mitarbeiter auch Arbeitszeit ab. Dies entspricht zwar den Grundprinzipien des Arbeitsvertrages, jedoch nicht denen nachhaltig wettbewerbsfähiger Betriebe und Unternehmen.

3. Lieferkette flexibilisieren

Ein Containerschiff benötigt für die Route China – Deutschland – inklusive Vorlauf- und Zollzeiten – zwischen 30 und 40 Tagen. Wenn Sie Ihre Vormaterialien überwiegend aus Asien beziehen, können Sie auf kurzfristige Schwankungen nicht reagieren. Luftfracht ist zwar möglich, zerstört jedoch sofort den Preisvorteil, den Sie durch den fernöstlichen Einkauf erreichen wollten. Generell gilt, je länger die Lieferkette, desto anfälliger ist sie gegenüber ungeplanten Ereignissen. Mögliche Beispiele sind: Piraten, Streiks, Terrorismus, Naturkatastrophen wie Vulkanasche, Überflutungen oder einfach nur ein besonders harter Winter.

Indem Sie die Transportwege kürzen, flexibilisieren Sie Ihre Lieferkette. Wenn Flexibilität wichtig ist, dann schauen Sie beim Einkauf Ihrer Vormaterialien nicht alleine auf die Stückkosten. In einem erfolgreichen Lieferantenportefeuille befinden sich neben asiatischen Niedrigpreis-Lieferanten auch teurere, dafür aber flexible Lieferanten. Die asiatischen Lieferanten stellen dann einen konstanten Grundbedarf sicher (Empfehlung: 70 – 80% der durchschnittlichen Bedarfe). Dadurch, dass Sie die restlichen Bedarfe durch lokale Lieferanten decken, können Sie auf schwankende Nachfrage reagieren.

4. Kosten variabilisieren

Wenn Sie einen möglichst großen Teil Ihrer Kosten variabel halten, sorgen Sie für plötzliche Umsatzeinbrüche vor. Die Kosten passen sich dann „automatisch“ der neuen Einkommenssituation an. Je höher hingegen Ihr Fixkostenanteil, desto größer sind die erforderlichen Anstrengungen, um die Kosten an die neue Umsatzsituation anzupassen. Dadurch haben Sie weniger Kraft und Ressourcen um Ihre Einnahmesituation zu verbessern.

Halten Sie deshalb einen Teil Ihrer Kosten flexibel durch:

  • Strategischen Einsatz von Leiharbeitern. Stimmen Sie ein akzeptables Niveau von Leiharbeit in Ihrem Unternehmen ab.
  • Strategisches Outsourcing. Indem Sie strategisch unbedeutende Aktivitäten zukaufen, ergeben sich bei Umsatzeinbrüchen neue Handlungsmöglichkeiten. In der Regel können Sie den Zukauf dieser Aktivitäten kurzfristig stoppen und dadurch die Kosten einsparen. Diese Tätigkeiten können dann im Bedarfsfall durch eigene, frei gewordenen Mitarbeiter erledigt werden. In Krisenzeiten können Sie den Schnee auch mit Mitarbeitern der Stammbelegschaft schippen.

Deshalb ist für die Bewertung von Outsourcing-Projekten die strategische Relevanz des betrachteten Prozesses entscheidend – nicht die Kostensituation. Für Ihre Kostenflexibilität kann ein Outsourcing selbst bei Kostensteigerung lohnend sein, wenn Sie die Möglichkeit haben, den Zukauf dieser Dienstleistung kurzfristig zu stoppen. Betrachten Sie die Mehrkosten als Versicherungsprämie, die Ihnen hilft im Krisenfall schnell Ihre Ausgaben zu reduzieren.

5. Kapazitätsreserven vorhalten

Je höher die Auslastung der Maschinen und Anlagen, desto höher ist auf dem ersten Blick die Kapitalproduktivität. Dicht an der Vollauslastung besteht jedoch keine Möglichkeit mehr, um auf Schwankungen mit zusätzlicher Produktion zu reagieren. Schwankungen können – wenn überhaupt – nur über Bestände abgefedert werden. Damit reduziert sich die Produktivität der eingesetzten Finanzmittel. Einen Ausweg bietet ein möglicher Aktiv-Tausch, d.h. das Umschichten von Produktbeständen in Produktionsequipment.

Beispiel für Aktiv-Tausch: Sie reduzieren Ihre Endproduktbestände um €500.000 und investieren das freigesetzte Bargeld in zusätzliches Produktionsequipment oder in Produktivitätssteigerung. Durch Aktiv-Tausch kann die Kapazität ohne zusätzliches Kapital erhöht werden. Die hierfür benötigte Geldmenge wird durch Bestandsreduktion freigesetzt.

6. Liquidität sichern

Cash ist der Lebensnerv jeder Organisation. Dies gilt insbesondere zu Krisenzeiten. Sichern Sie Ihren Bargeldbestand durch folgende Punkte:

  • Binden Sie nur so viel Liquidität wie nötig im Regal. Die Bausteine 1 bis 5 helfen Ihnen die Bestände entlang der Lieferkette möglichst gering zu halten. Wenn sich das Verhalten Ihrer Kunden kurzfristig ändert, dann sind hohe Endproduktbestände Gift. Der Abverkauf ist dann nur noch unter größten Anstrengungen – vor allem mit deutlichen Preissenkungen – möglich. Zudem lenken Sie Ihre Organisation ab, anstatt sich mit der Entwicklung und dem Vertrieb neuer Produkte zu beschäftigen, steht der Abverkauf der Altlasten im Brennpunkt.
  • Zahlungsziele synchronisieren. Die Zahlungsziele auf der Einkaufsseite sollten im Durchschnitt mindestens den Zahlungszielen Ihrer Kunden entsprechen. Es ist kritisch, wenn Ihre Kunden ihre Rechnungen nach 60 Tagen begleichen, Sie aber Ihre Lieferanten bereits nach 20 Tagen bezahlen müssen.
  • Ausgewogenes Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital. Fremdkapital (z.B. Bankkredite) kann zwar die Eigenkapitalrendite hebeln, erhöht aber Ihre Zahlungsverpflichtungen. Banken und anderen Fremdkapitalgebern steht eine regelmäßige Zinszahlung zu. Je höher der Fremdkapitalanteil, desto höher die regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen, desto geringer der finanzielle Spielraum bei Umsatzverlusten.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner)

Viel Erfolg bei der Umsetzung! Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz!

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