UH50: Entscheidung oder Mitbestimmung

UMSETZUNGSHILFE Nr. 50
Entscheidung oder Mitbestimmung? Gesprächstypen in der Praxis.

September 2013, Diese UH als PDF downloaden

Vorgesetzter Jochen führt ein Entwicklungsgespräch durch:
Donnerstagmorgen traf ich um 9 Uhr in Jochens Büro ein. Jochen war blasser, als ich ihn in Erinnerung hatte, und die Sommersprossen in seinem Gesicht traten deutlicher hervor. Nach den Begrüßungsfloskeln kam er auch schon zur Sache.

„Wir haben gestern über dich diskutiert.“ Eine Aufhellung seines Gesichts verriet mir, dass ihm eine Idee gekommen war. Ich war sofort hellwach, um in keine Falle zu tappen.

„Was für einen Job würdest du gerne als Nächstes machen?“

„Als Ergänzung zu meinem bisherigen technischen Wissen ist eine Tätigkeit mit starkem betriebswirtschaftlichem Hintergrund ideal“, mauerte ich mein Fundament, falls es tatsächlich noch zu einer Sachdiskussion kommen sollte. Um Jochen aber mit einem klaren Auftrag loszuschicken, grenzte ich meine Auswahl weiter ein: „Als nächsten Job sehe ich für mich nur den Produktionscontroller!“

Jochens Blick ging nach unten, er wirkte irritiert. Kannte er die Stelle nicht oder verstand
er die Strategie hinter meinem Entwicklungsplan nicht? Sein Bürostuhl meldete sich mit einem Quietschen; offensichtlich fühlte sich Jochen unwohl. „Kannst du dir noch einen anderen Job vorstellen?“
Da war sie auch schon, die Falle, in die ich nicht hineinstolpern wollte. Würde ich weitere Optionen benennen, gäbe ich quasi mein Wahlrecht auf. Sicherlich hoffte Jochen, dass ich die aktuelle Position mit Ihm als Chef als Option nennen würde. Dann könnte er die Rückmeldung geben, dass ich den Job weiter machen wolle. Und stünde ihm damit weiter zur Verfügung! Wahrscheinlich war das der Grund für seinen ausweichenden Blick und sein offensichtliches Unwohlsein. Er hob den Kopf und schaute mich an.

Ich schaute ihm direkt in die Augen. Irgendein Problem musste er haben. Schon wieder war sein Blick am Boden und seine Muskeln verkrampften sich zusehends. „Wie wäre es mit einem Job als Produktionsteamleiter?
Einer dieser Schleudersitze, stets mit einem Gruppenleiter zwischen mir und dem Produktionsleiter? Wenig reizvoll, ich bevorzugte ganz klar die Abkürzung zum Produktionsleiter über die direkte Linie als Produktionscontroller und argumentierte dagegen:
„Die letzten sechs Monate habe ich komplett in der Produktion zugebracht, daher ist die direkte Produktionsverantwortung für mich keine Weiterentwicklung. Betriebswirtschaftliche Komponenten müssen im Vordergrund meines nächsten Jobs stehen.“
„In der Produktion könntest du dein Führungswissen weiter ausbauen“, argumentierte Jochen gegen mich.

Ratlosigkeit überfiel mich, warum er gerade dieses Argument zum Thema Führung anbrachte? „Führung habe ich die letzten sechs Monate gelernt“, entgegnete ich forsch, wobei ich mir selbst eingestehen musste, dass ein halbes Jahr Führungserfahrung nicht sehr viel war. Allmählich wurde mir diese Veranstaltung unheimlich und ich manifestierte nochmals: „Momentan möchte ich nicht in die Produktion, sondern die Stabsstelle Controlling. Produktionsteamleiter kannst du nicht auf meine Wunschliste schreiben.“

Jochen sackte in sich zusammen und versuchte, tief Luft zu holen. Sein Gesicht wurde rot und hob sich gegen die weißen Wände deutlich ab. Der Mann quälte sich mit irgendetwas herum.
„Du wirst Produktionsteamleiter!“, hörte ich die Stimme meines Vorgesetzten.
Ich konnte es nicht glauben. „Was?“ Meine Wut und Empörung waren in diesem einen Wort deutlich hörbar. „Ist das entschieden?“, suchte ich nach dem Rettungsanker.
„Wir haben gestern entschieden, dass du ab 1. Februar Produktionsteamleiter wirst.“

Entsetzt wollte ich hören, was ich schon ahnte: „Habe ich ein Wahlrecht?“

Jochens Blick löste sich nicht vom Boden. „Nein, das ist eine Ergebnismitteilung.“

„Protest, Kündigung!“, schoss es mir durch den Kopf.

Deprimiert und frustriert schaute ich durch das Fenster den dunklen Regenwolken nach. So fühlte sich also Demotivation an.

1. Was macht der Vorgesetzte falsch?

Jochen versucht eine Ergebnismitteilung als Mitbestimmung zu tarnen. Dabei handelt es sich um zwei grundsätzlich unterschiedliche Gesprächstypen. In der Praxis versuchen Vorgesetzte häufig Entscheidungen, durch „pseudo-kooperative“ Gesprächsführung zu tarnen. Warum eigentlich? Mitarbeiter akzeptieren, dass Vorgesetzte Entscheidungen treffen. Sie sind jedoch genervt, wenn ihre Meinungen und Bemühungen nicht ausreichend gewürdigt werden, da die Entscheidung bereits feststand.
Gerade in den ersten Tagen als Führungskraft neigen viele Vorgesetzte dazu, Entscheidungen möglichst “weich” zu überbringen. Wer möchte seine Mitarbeiter mit – vielleicht sogar unangenehmen – Entscheidungen konfrontieren? Ja, und als Chef möchte man auch geliebt werden. Allerdings ist das Ergebnis einer “pseudo-kooperativen” Gesprächsführung häufig genau das Gegenteil. Statt Anerkennung und Liebe erntet die Führungskraft Demotivation.

2. Bevor Sie das nächste Mal in ein Gespräch gehen, überlegen Sie vorher, ob es sich um eine Ergebnismitteilung oder Mitbestimmung handelt.

Bei einer Ergebnismitteilung ist der Gesprächsinhalt entschieden. Wenn die Ehefrau das Ferienhaus in Dänemark bereits fest gebucht hat, kann nun nicht am Mittagstisch freundlich fragen, wohin es im Sommer in Urlaub gehen soll.
Bei einer Mitbestimmung ist noch keine Entscheidung gefallen. Der Befragte hat ein Wahlrecht. Aber Vorsicht! Geben Sie tatsächlich nur das zur Mitbestimmung, was Sie auch mitbestimmt haben wollen. Wenn der Vater entschieden hat, das der winterliche Skiurlaub in Österreich stattfinden soll, darf er nicht den ADAC-Skiatlas auf den Tisch legen mit den Worten: „Ihr dürft euch den Ort aussuchen, denn im Skiatlas sind auch Orte aus Deutschland, Schweiz und Italien.
Wichtig ist, dass Sie bei einer Mitbestimmung tatsächlich mit der Entscheidung des anderen leben können.

3. Bieten Sie keine Mitbestimmung an, wenn Sie nicht mit allen zur Auswahl stehenden Optionen leben können.

Ist dem Vater der Ort des Skiurlaubs egal, Hauptsache der Ort ist mangels Fremdsprachen-kenntnis „deutschsprachig“, so muss er die Mitbestimmung für seine Familie auf diese Orte beschränken.

4. Was, wenn es weder Entscheidungsmitteilung noch Mitbestimmung ist?

Manchmal wollen Sie vom Mitarbeiter einfach nur eine Information, ob er sich für eine bestimmte Sache interessiert. Aber auch bei diesem Gesprächstyp lauern Fallen.
Sie fragen Ihren Mitarbeiter, ob er sich vorstellen könnte, beim Aufbau des chinesischen Werkes für ein Jahr unterstützen zu können. Begeistert stimmt der Mitarbeiter zu.
Dumm nur, wenn noch überhaupt nicht entschieden ist, wer im China-Aufbau Team sein wird. Sie als Chef wollten nur wissen, ob der Mitarbeiter in den Topf der Kandidaten soll. Der Mitarbeiter hingegen kündigt abends bereits seinen Mietvertrag.
Für solche Gespräche nutzen Sie das Informationsgespräch. Bevor Sie inhaltlich beginnen, sagen Sie dem Mitarbeiter, dass es sich um ein Informationsgespräch handelt und er weder mitbestimmen kann, noch bereits eine Entscheidung getroffen wurde. Versprechen Sie auch nichts, im Gegenteil, betonen Sie, dass dieses Gespräch weder bedeutet, dass er im China-Team ist, noch das er mitbestimmen kann. Je weniger Hoffnungen Sie wecken, desto weniger können später enttäuscht werden.
Achten Sie darauf, die drei Gesprächstypen nicht zu vermischen und konsequent durchzuführen:

  • Entscheidungsmitteilung
  • Mitbestimmung
  • Informationsgespräch

Aber nur, wenn Sie es auch tun – denn es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

Viel Erfolg bei der Umsetzung! Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz

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Ressourcen:
Hochgeschurtz, T. (2013). Konsequent. 2. Auflage; S. 75 ff. ikotes-Verlag, Bühl.