UH30: Fünf Gründe gegen Zeiterfassung

UMSETZUNGSHILFE Nr. 30
Fünf Gründe gegen Zeiterfassung

 

Januar 2012, Diese UH als PDF downloaden

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Für ein größeres Bauprojekt bekomme ich eine Ladung Kies geliefert. Pech, dass der LKW-Fahrer seine Fuhre vor der Einfahrt meines Nachbarn entlädt. Wie bekomme ich den Kies jetzt auf mein Grundstück? Ich beauftrage drei Studenten damit, mir das Problem zu lösen.
Nach welchem Prinzip, sollte ich die drei Studenten entlohnen?

Wir gehen zusammen davon aus, dass der Berg an einem Tag versetzt werden kann. Mit den Studenten vereinbare ich einen fixen Stundenlohn. Und wenn sie länger als acht Stunden benötigen sollten, bekommen sie für die anfallenden Überstunden zusätzlich einen 20%-igen Aufschlag.

Was halten Sie von dieser Vereinbarung? In welcher Zeit haben die Studenten den Berg versetzt, wenn sie das Geld benötigen? Und Studenten benötigen immer Geld! Da ich nach Zeit bezahle, werden sie vermutlich auch Zeit liefern. Schlauer wäre es einen Fixpreis zu vereinbaren. Dann würden die Studenten sogar ihre Arbeitsweise optimieren, da sie von einem kürzeren Arbeitstag profitieren würden.

Was bedeutet das Studentenbeispiel für die betriebliche Praxis?

1. Zeiterfassung belohnt Zeit

Meine erste Arbeitsstelle habe ich noch mit starren Arbeitszeiten angetreten. Später war es möglich, später zu kommen, wenn man auch später ging – die sogenannte flexible Anfangsarbeitszeit. Dann kam die Gleitzeit mit Anfangs- und Endfenster, die schnell durch die Gleitzeit mit Kernarbeitszeit abgelöst wurde. Unter dem Synonym der Flexibilisierung von Arbeitszeit wurde auch die Kernzeit abgeschafft. Später wurden begrenzte Zeitkonten durch Jahresarbeitszeit abgelöst. Der letzte Schrei ist nun das Lebensarbeitszeitkonto. Nur, was ist all diesen Konzepten gleich? Sie messen die Arbeitszeit. Dadurch erzeugen diese Konzepte Zeitverbrauchsmentalität.

Die Mitarbeiter haben dasselbe Problem wie meine Studenten. Wenn sie etwas schneller erledigen, verlieren sie Guthaben auf ihrem Arbeitszeitkonto. Wer hingegen von Montag bis Donnerstag immer etwas länger braucht, muss am Freitag eher gehen, damit sein Wochenkonto wieder ausgeglichen ist.

Wie funktioniert das Arbeitszeitsystem in Ihrem Unternehmen? Wie würden die Studenten in Ihrem Zeitsystem arbeiten?

2. Überstundenbezahlung verlängert die Arbeitszeit

Warum sollten Ihre Mitarbeiter Ihre Arbeit optimieren, wenn Sie die Möglichkeit haben am Ende des Jahres die Überstunden vergütet zu bekommen? Mit angebotener Überstundenvergütung waren meine Studenten „Herr über ihr Entgelt“.

3. Arbeitszeiterfassung verhindert Prozessverbesserungen

Wie motivieren Sie Mitarbeiter zu arbeitszeitreduzierenden Prozessverbesserungen? Beantworten Sie in unten stehender Tabelle in allen vier Feldern jeweils die Frage:

Werden arbeitszeitreduzierende Prozessverbesserungen durchgeführt?

 

Haben Sie erkannt, dass der Mitarbeiter mit Zeiterfassung sich selber schädigt, wenn er Prozessverbesserungen initiiert? Er verliert Überstundenentgelt oder Freizeitausgleich. Ohne Zeiterfassung profitieren jedoch Mitarbeiter (weniger Arbeitszeit) und Unternehmen (besserer Prozess).

 

Mitarbeiter werden unter Zeiterfassung von sich aus keine Prozessverbesserungen anstoßen, da sie Nachteile für sich befürchten müssen. Damit nehmen diese Unternehmen dem Mitarbeiter eine Chance zur intrinsischen Motivation, nämlich, dass er sich einbringen und Hinterlassenschaften erzeugen kann.

4. Die Täler sind das Problem nicht die Berge

In folgendem Bild ist der Personalbedarf (blaue Linie) mit Bergen und Tälern über das Jahr dargestellt. Die rote Kurve zeigt die eingebrachte Arbeitszeit der Mitarbeiter. Von Januar bis Mai sehen Sie ein häufiges Phänomen, alle jammern über Überstunden, aber sie werden gemacht. Wenn der Bedarf (die blaue Linie) die Durchschnittsgeraden nach unten schneidet, ergeben sich drei Möglichkeiten (Alt. 1 bis Alt. 3). Überlegen Sie sich, wie in Ihrem Unternehmen gearbeitet wird, wenn ein Tal kommt: Alternative 1, 2 oder 3?

 

Malen Sie dieses Bild an ein Flipchart und fragen Sie Ihre Mitarbeiter und Kollegen. Wir hören in den Betrieben immer Alt. 1 oder 2, nie jedoch Alt. 3. An diesem Beispiel erkennen wir, dass die Täler das Problem sind und nicht die Berge.

5. Ist Zeiterfassung Ihr Kerngeschäft?

Falls „ja“, hören Sie hier auf zu lesen. Für alle anderen ist Zeiterfassung ein nichtwertschöpfender Prozess. Und was sollten Unternehmen mit nichtwertschöpfenden Prozessen machen?

Konzentrieren sie sich auf Ihr Kerngeschäft! Überlegen Sie, wie viel Zeit und Energie in Ihrem Unternehmen jeden Tag mit der Diskussion um Überstunden, Rauchpausen und zu lange Meetings Arbeitszeit verschwendet wird. Alle diese Diskussionen sind nicht kundenrelevant. Stellen Sie den Kunden in den Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten.

Voraussetzung für die Abschaffung der Zeiterfassung

Sie können den Fluch der Zeiterfassung mit einer Axt zu Leibe rücken. Einfach die Zeiterfassungsgeräte zerschlagen, fertig! Besser wäre es jedoch wenn Sie vorher:

  1. eine Leistungsmessung
  2. eine KVP Philosophie
  3. Regeln für flexibles Arbeiten ohne Zeiterfassung im Schichtbetrieb haben.

Dazu mehr, in der nächsten Umsetzungshilfe.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner)

Viel Erfolg bei der Umsetzung! Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz

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