UH31: Einführung von Vertrauensarbeitszeit

UMSETZUNGSHILFE Nr. 31
Einführung von Vertrauensarbeitszeit

Februar 2012, Diese UH als PDF downloaden
Die UMSETZUNGSHILFE Nr. 30 lieferte im Januar 2012 fünf Gründe gegen Zeiterfassung. Lernen Sie in dieser UMSETZUNGSHILFE die notwendigen sieben Schritte für flexibles Arbeiten ohne Zeiterfassung.

1. Beseitigen Sie finanzielle Anreize für Mehrarbeit

Solange Überstunden mit Geld abgegolten werden, wollen und können Mitarbeiter auf dieses zusätzliche Entgelt nicht verzichten. Überstunden bieten aus Sicht der Mitarbeiter die einzige Möglichkeit, die eigene Entgelthöhe zu beeinflussen. Dieser Anreiz wird irgendwann genutzt.

Deshalb ist die Abschaffung der Überstundenbezahlung der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zur Vertrauensarbeitszeit. Vergüten Sie Zeit mit Zeit. Mehrarbeit muss somit durch reduzierte Arbeitszeit zu anderen Zeitpunkten abgegolten werden. Dabei haben Sie sogar die Unterstützung der Gewerkschaften, die sich öffentlich gegen bezahlte Mehrarbeit aussprechen. Trotzdem ist die Abschaffung der gewohnten Überstundenvergütung ein Reizpunkt auf den Weg zur Vertrauensarbeitszeit. Sie brauchen hierfür die Zustimmung Ihres Betriebsrates gemäß §87 Abs.1 BetrVG. Bedenken Sie, der Betriebsrat wird gewählt, d.h. er benötigt Argumente um die Einführung von Vertrauensarbeitszeit gegenüber seinen Wählern zu vertreten. Denkbar sind zwei Möglichkeiten:

  1. Ihr Unternehmen befindet sich in einer Krise, d.h. die Einsparung der Überstundenzuschläge ist ein Beitrag für das Fortbestehen des Unternehmens.
  2. Sie finden einen Weg die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben für Überstunden auch zukünftig an die Belegschaft auszuzahlen. Legen Sie beispielsweise die jährlichen Ausgaben auf die Anzahl der Mitarbeiter um und erhöhen Sie das Urlaubsgeld entsprechend. Damit demonstrieren Sie, dass Sie das Projekt nicht einführen um das Einkommen der Belegschaft zu kürzen. Dieser Weg hilft der Akzeptanz des Projektes bei Unternehmen die sich nicht in einer Krise befinden.

2. Spielregeln vereinbaren und kommunizieren

Vereinbaren Sie gemeinsam mit dem Betriebsrat die Spielregeln für die Vertrauensarbeitszeit. Halten Sie eine Betriebsvereinbarung so einfach und verständlich wie möglich. Unsere Empfehlung: Versuchen Sie nicht jeden möglichen Sonderfall im Vorherein zu regeln. Gründen Sie eine kleine Arbeitsgruppe aus Betriebsrat und Geschäftsführung, die sich nach Einführung regelmäßig trifft, um über eventuelle Sonderfälle zu beraten und zu entscheiden. Es hat sich auch bewährt die Vereinbarungen in regelmäßigen Abständen zu prüfen und anzupassen.

Typische Eckpfeiler einer Betriebsvereinbarung zur Vertrauensarbeitszeit sind:

  • Beginn und Ende der Arbeitszeit ist frei wählbar.
  • Lage und Dauer der Arbeitszeit orientiert sich an den Arbeitsaufgaben, den betrieblichen Abläufen sowie den Abstimmungen innerhalb des Teams.
  • Verzicht auf elektronische Zeiterfassung. Der Mitarbeiter übernimmt die Verantwortung für seine Arbeitszeit.
  • Als Ausgleich für Arbeiten an Samstagen und Sonntagen können entsprechend freie Tage in Anspruch genommen werden.

Und für die Zwischenstufe mit manueller Zeitaufschreibung zusätzlich:

  • Das Arbeitszeitkonto ist nach oben und unten offen.
  • Plusstunden werden niemals ausbezahlt, der Mitarbeiter betritt und verlässt das Unternehmen mit einem ausgeglichenen Konto.

Lassen Sie bei der Kommunikation der Regeln Fragen und Diskussionen zu. Erläutern Sie die Vertrauensarbeitszeit in Schulungen mit maximal 20 Mitarbeitern. Bewährt hat sich auch eine FAQ-Liste zu den häufigsten Fragen der Mitarbeiter, die ständig ergänzt wird.

3. Geben Sie Ihren Mitarbeitern Zeit – Projekt der kleinen Schritte

Arbeiten ohne Zeiterfassung verlangt Vertrauen. Die Vorgesetzten vertrauen ihren Mitarbeitern, dass sie die oben genannten Eckpfeiler einhalten. Die Mitarbeiter vertrauen ihren Vorgesetzten, dass die Einführung von Vertrauensarbeitszeit keine versteckte Arbeitszeiterhöhung wird. Vertrauen entsteht durch Verlässlichkeit und positive Erfahrung.

Wenn Sie heute noch stempeln und vielleicht sogar Rauchpausen ausstempeln lassen, dann gönnen Sie Ihren Mitarbeitern Zwischenschritte. Ein Zwischenschritt kann sein, dass am Anfang zwar die elektronische Zeiterfassung abgeschafft wird, aber die Mitarbeiter ihre Anwesenheit und eventuelle Mehr- oder Wenigerzeit selbst an der Teamtafel (für alle offen) dokumentieren. Wenn Sie als kleinste zu dokumentierende Zeiteinheit eine halbe Stunde wählen, halten Sie den Dokumentationsaufwand sehr übersichtlich und vermeiden Minutenfeilscherei.

Nach einer Übergangszeit (durchaus zwei Jahre) können Sie den nächsten Schritt gehen und die Erfassung der geleisteten Arbeitszeit ganz abschaffen.

4. Leistungsmessung festlegen

Anstelle der Zeiterfassung tritt die konsequente Messung der Leistung. Definieren Sie deshalb gemeinsam mit den betroffenen Bereichen geeignete Kennzahlen, um die Leistung zu überwachen. Für Produktionseinheiten eignen sich beispielsweise folgende Kennzahlen:

  • Anzahl der Unfälle
  • Krankheitsbedingte Abwesenheit
  • Anzahl der Kundenreklamationen
  • Liefertreue
  • Durchlaufzeit (oder Bestand)
  • Produktivität (zum Beispiel in Wert je Mitarbeiter)

Aber auch qualitative Systeme in Form von Potenzialanalysen sind bessere Leistungsmesssysteme, als Zeiterfassung. Bewerten Sie die Mitarbeiter anhand eines eigenen Kompetenzmodells (z. B. Fach-, Sozial-, Methoden-, Persönliche und Führungskompetenz), statt nach Zeitverbrauch. Mehr dazu in einer der kommenden Umsetzungshilfen.

5. Halten Sie durch

Wenn die Mitarbeiter Vertrauensarbeitszeit „leben“, ergeben sich ganz neue Herausforderungen als Führungskraft. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Am Montag in der Kantine: Der Personalreferent setzt sich zu Ihnen an den Tisch. „Hast du auch schon vom Team 2 gehört, da verlässt jede Woche Freitag in der Spätschicht einer von fünf Kollegen das Werk bereits zwei Stunden früher. Da musst du was tun – klarer Fall von Missbrauch der Vertrauensarbeitszeit.“
Wie würden Sie auf den Einwand des Personalreferenten reagieren? Sie haben den Vorfall schon gehört und sich vor Ort bereits über die Situation erkundigt. Dabei haben Sie festgestellt, dass das Team durch eigene Organisation den Prozess in den letzten zwei Stunden mit einem Mitarbeiter weniger fahren kann. Sicherheit, Qualität und Produktivität sind trotzdem gewährleistet.

Unter Zeiterfassung wären alle fünf Mitarbeiter bis zum Schluss geblieben. Aber welchen Vorteil hätte das Unternehmen davon? Keinen! Die fünf Kollegen hätten sich gemeinsam bis zum Schichtende irgendwie beschäftig. Mehr Ausstoß oder bessere Qualität wäre dadurch auch nicht entstanden. Also Antworten Sie standhaft und ehrlich überzeugt: „Ja ich weiß. Es freut mich sogar, dass sich dieses Team so gut organisieren kann und deshalb von den Vorteilen der flexiblen Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung profitiert.“

6. Gesetzliche Hürden: Geht es ganz ohne Zeiterfassung?

Leider macht Ihnen der Gesetzgeber einen Strich durch die Rechnung. Wenn in Ihrem Unternehmen zuschlagspflichtige Stunden anfallen, geht es nicht ganz ohne Zeiterfassung. Sie benötigen dann eine einfache Möglichkeit, um zuschlagspflichtige Stunden für Nacht- oder Feiertagsarbeit zu erfassen. Sie können die Verantwortung für die Erfassung in die entsprechenden Teams geben. Es reicht die Dokumentation der angefallenen Stunden in Excel, die dann am Monatsende per E-Mail in die Entgeltabrechnung geschickt werden.
Darüber hinaus schreibt der Gesetzgeber vor, dass Arbeitszeiten die über acht Stunden hinausgehen dokumentiert werden müssen (§16 ArbZG). Diese Dokumentation muss zwei Jahre aufbewahrt werden. Diese Dokumentationspflicht können Sie per Betriebsvereinbarung an Ihre Mitarbeiter delegieren.

Wenn Sie in dieser Betriebsvereinbarung als Arbeitszeitrahmen den Samstag nicht als Regelarbeitstag festlegen, genügt es, die Arbeitszeiten über 9,6 Stunden aufzuzeichnen.

7. Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat

Die Einführung von Vertrauensarbeitszeit gegen den Willen des Betriebsrats ist auf Grund der Auskunftsrechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz nicht möglich. Da der Betriebsrat aber auch nicht gegen den Willen der Mitarbeiter handelt, starten Sie bei Bedarf mit einer Einführung auf Freiwilligkeit oder mit einigen Pilotgruppen.
Aber Vorsicht, drei Monate Testphase reichen nicht. Aus unserer Erfahrung ist die Stimmungslage zur Vertrauensarbeitszeit nach einem Jahr noch gemischt, da beide Seiten sich an die neue Vertrauenskultur gewöhnen müssen. Nach zwei Jahren ist die Vertrauensarbeitszeit aus Ihrem Unternehmen nicht mehr wegzudenken!

Viel Erfolg bei Ihren ersten Schritten in die Vertrauensarbeitszeit, und vergessen Sie nie:

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner)

Viel Erfolg bei der Umsetzung! Enrico Briegert & Thomas Hochgeschurtz

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