UH58: Darf man trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seine Arbeit aufnehmen?

UMSETZUNGSHILFE Nr. 58
Darf man trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seine Arbeit aufnehmen?

 

Juni 2014, Diese UH als PDF downloaden

Nörzig hatte sich am Sonntag bei der Gartenarbeiter mit einem Messer in die linke Hand geschnitten. Der Schnitt musste mit einigen Stichen genäht werden. Da Nörzig in der Montage tätig ist, schrieb ihn der Arzt für fünf Tage arbeitsunfähig. Am dritten Tag konnte Nörzig die Hand schon wieder belasten, also rief er seinen Chef an und fragt ihn, ob er trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit die Arbeit wieder aufnehmen darf. Nörzig’s Chef war unsicher. Darf der Chef seinen Mitarbeiter Nörzig arbeiten lassen? Ist Nörzig dann auch versichert?
Ja, darf er. Warum? Diese Umsetzungshilfe gibt Ihnen Antworten auf die sieben wichtigsten Fragen zum Thema „Arbeiten trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.“

1. Wer entscheidet in Deutschland ob jemand arbeitsunfähig ist?

Spätestens wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert, entscheidet der Arzt, ob der Mitarbeiter arbeitsunfähig ist (§5 Abs.1 EntgFG). Dauert die voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit hingegen kürzer, ist der Mitarbeiter nicht verpflichtet eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Es sei denn, der Arbeitgeber hat den Mitarbeiter aufgefordert, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Tag vorzulegen.

2. Wann ist jemand arbeitsunfähig?

„Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn Versicherte auf Grund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn auf Grund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen.“ (siehe Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (§2 Abs.1 vom 14.11.2013)).
Der behandelnde Arzt ist demnach verpflichtet den Versicherten zu fragen, welche berufliche Tätigkeit er ausübt. Dann muss der Arzt entscheiden, ob der Versicherte bei der vorliegenden Diagnose noch seiner Arbeit nachgehen kann oder nicht.
Ist nun ein Mitarbeiter mit einem verstauchten kleinen Finger an der linken Hand arbeitsunfähig?
Das kommt auf den Arbeitsplatz an. Während ein Mitarbeiter in der Montage mit dieser Verstauchung wahrscheinlich unfähig ist, seine Arbeit auszuführen, führt die gleiche Verstauchung bei einem Mitarbeiter in der Personalabteilung zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung. Der Montage-Mitarbeiter ist dann arbeitsunfähig, der Personalreferent hingegen ist trotz Krankheit weiter arbeitsfähig.

3. Wer entscheidet, ob der Mitarbeiter wieder arbeitsfähig ist?

Dies entscheidet in der Regel der Mitarbeiter selbst. Der Arzt bescheinigt lediglich die voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit. Wenn der Mitarbeiter also für eine Woche – von Montag bis Freitag – arbeitsunfähig geschrieben wurde, dann kann der Mitarbeiter beispielsweise am Mittwoch die Arbeit wieder aufnehmen.
Vorausgesetzt er fühlt sich wieder arbeitsfähig. Nur, wie viele Mitarbeiter nehmen die Arbeit wieder früher auf, wenn Sie sich vorher wieder gesund fühlen?

4. Aus welchen Gründen nehmen Mitarbeiter, wenn sie sich vor Ablauf der Arbeitsunfähigkeit wieder arbeitsfähig fühlen, die Arbeit nicht früher wieder auf?

Der am häufigsten genannte Grund: Die Mitarbeiter wissen nicht, dass sie die Arbeit früher wieder aufnehmen dürfen! Viele Mitarbeiter glauben auf Rechte zu verzichten, wenn sie die Arbeit wieder aufnehmen. So hält sich seit Jahren hartnäckig das Ammenmärchen. dass man dann ja nicht über die Berufsgenossenschaft versichert sei, wenn man trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit arbeiten geht.
Das ist falsch. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter zum Umgang mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Ein anderer Grund: Die Motivation des Mitarbeiters ist in den letzten Jahren auf der Strecke geblieben. Dann ist der „Gelbe Schein“ eine Chance vom ungeliebten Arbeitsplatz fern zu bleiben. Warum sollte der Mitarbeiter dann wieder früher kommen? In diesem Fall, sollten Sie überlegen, wie Sie die Motivation der Mitarbeiter zur Arbeit wieder steigern können.

5. Ist man versichert, wenn man trotz gültiger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seine Arbeit vorzeitig aufnimmt?

Ja, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt kein Beschäftigungsverbot dar. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie bei Ihrer Berufsgenossenschaft nach. Viele Berufsgenossenschaften bestätigen den Versicherungsschutz inzwischen auf ihrer Homepage. So schreibt die BG Rohstoffe und chemische Industrie (BGRCI):
„Wenn Sie trotz einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit vorzeitig Ihre Arbeit wieder aufnehmen, so sind Sie dabei versichert. Für die Frage, ob Sie unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, kommt es grundsätzlich auf die tatsächliche Arbeitsleistung an, nicht auf die Frage der attestierten Arbeitsunfähigkeit.“

6. Was passiert, wenn der Mitarbeiter früher die Arbeit wieder aufnimmt und merkt, dass er doch noch nicht wieder arbeitsfähig ist?

Dann ist der Mitarbeiter wieder arbeitsunfähig. Da durch die Arbeitsaufnahme die bisherige Arbeitsunfähigkeit beendet wurde, benötigt der Mitarbeiter in diesem Fall laut Gesetz eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Als schlauer Arbeitgeber sollten Sie jedoch in diesem Fall auf eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verzichten. Wenn der Mitarbeiter jetzt erneut zwei Stunden im Wartezimmer des Arztes sitzt, war das sein letzter Versuch, die Arbeit vorzeitig wieder aufzunehmen. Entbinden Sie die Mitarbeiter in diesem Fall von der Nachweispflicht.
Beispiel: Ihr Mitarbeiter war bis Freitag arbeitsunfähig geschrieben. Am Mittwoch fühlt er sich wieder arbeitsfähig und nimmt die Arbeit wieder auf. Gegen Mittag stellt er fest, dass er seinen Zustand zu optimistisch eingeschätzt hat. Dann geht der Mitarbeiter wieder nach Hause und Sie als Arbeitgeber verzichten bis Freitag auf eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Sollte die Arbeitsunfähigkeit über den ursprünglichen Freitag hinaus andauern, dann benötigt der Mitarbeiter eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

7. Worauf müssen Sie als Vorgesetzter achten, wenn ein Mitarbeiter die Arbeit vorzeitig aufnimmt?

Hier gilt dasselbe, wie an jedem anderen Arbeitstag auch: Wenn Sie als Vorgesetzter der Meinung sind, dass Ihr Mitarbeiter arbeitsunfähig ist, dann dürfen Sie den Mitarbeiter nicht beschäftigen. Beachten Sie, dass Sie als Vorgesetzter immer eine Fürsorgepflicht für Ihre Mitarbeiter haben.

Viel Erfolg bei der Umsetzung.
Enrico Briegert + Thomas Hochgeschurtz
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Ressourcen:
Briegert, E. und Hochgeschurtz, T. (2012): Führung, ikotes Verlag, Bühl.
Briegert, E. und Hochgeschurtz, T. (2014): Krankheitsbedingte Abwesenheit durch Motivation reduzieren, Umsetzungshilfe Nr. 22, www.umsetzungshilfe.de/22
Briegert, E. und Hochgeschurtz, T. (2014): Motivation in der Praxis, Umsetzungshilfe Nr. 23, www.umsetzungshilfe.de/23
Briegert, E. und Hochgeschutz, T. (2013): Kurzschulung Fehlzeiten reduzieren als gemeinsames Ziel, www.umsetzungshilfe.de/42

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